Unsterblichkeitsprogramm, Das
Neue Autoren haben es immer schwer, egal in welchem Land sie leben und ihre Werke veröffentlichen wollen. Hier in Deutschland gibt es ein Genre, dem es ganz besonders schwer gemacht wird, im Gegensatz zu Großbritannien oder den USA. Die Science Fiction! Zu Stummfilmzeiten war das hier mal ganz anders, man denke da nur an so großartige Filme wie "Metropolis" von Fritz Lang oder "Das Kabinett des Doktor Caligari" von Robert Wiene. Herausragende Werke des Science Fiction und Fantastischen Films. Seit dem hat sich das hierzulande radikal geändert. In den 60ern, meiner Kindheit, wurde es als Kinderkram abgetan und verlacht. Und dabei brachte der deutsche Film zu dieser Zeit, zeitgleich mit Star Trek in den USA, eine unglaublich fantastische SF-Serie heraus, Raumpatrouille Orion. Wenn man damals davon erzählte, man würde sich für SF interessieren, wurde man perse als Spinner abgestempelt. Das hat sich inzwischen ein wenig abgemildert, aber man wird immer noch leicht belächelt. Aber ich komme etwas vom Thema ab.
Debutromane haben es also in der Science Fiction schwer, auch in den USA, wo es einen gigantischen Markt dafür gibt. Um so überraschender ist es dann, wenn ein solcher mit einer dermaßenen Kraft und Intensität daherkommt und den Leser, wie den Kritiker, mitreißt und von der ersten Seite an fesselt. Es geht um Richard Morgans Erstlingswerk "Das Unsterblichkeitsprogramm", Original "Altered Carbon", den wir euch heute vorstellen wollen. Es ist eine kongeniale Mischung aus Krimi, SF und Cyberpunk. Freunde von Shadowrun werden sich hier ebenso zurecht finden, wie Freunde von Harry Harrisons klassischer Figur "Stahlratte" Jimmy deGriz oder anderen Investigatoren. Und auch eine Auszeichnung bekam der neue Autor, nämlich den Philip K. Dick Award, für den besten Roman des Jahres. Das will schon was heißen! Informationen über den Autor sind leider sehr spärlich gesäht, aber ein wenig haben wir doch für euch.
Richard Morgan wurde in England geboren, und zwar 1958 in Norwich. Er studierte Englisch und Geschichte in Cambridge und wurde dann an der Strathclyde Universität in Glasgow Englischlehrer. Neben seiner Lehrtätigkeit schrieb er Abends und am Wochenende, wie das so viele Autoren zu Beginn ihrer Kariere machen müssen. Doch heute verdient er seinen Unterhalt ausschließlich als freier Schriftsteller.
Neben seinem Erstlingswerk gibt es inzwischen eine Fortsetzung, "Broken Angel", und einen Wirtschaftsthriller Namens "Market Forces". Dieser erschien inzwischen bei Heyne unter dem Titel "Profit". Auf eine deutsche Übersetzung von Broken Angel warten die Leser in gespannter Erwartung. Wer Takeshi Kovacs Abenteuer auf der Erde verschlungen hat, der möchte unbedingt wissen wie es mit ihm weitergeht, wenn es schon eine Fortsetzung gibt.
Worum geht es nun in der Handlung? Im Umschlagtext heißt es kurz und knapp: "Privatdetektiv Takeshi Kovacs kann sich über seinen neuen Auftrag nur freuen - hatte ihn der Letzte ja eigentlich das leben gekostet. Aber der Tod scheint inzwischen kein Problem mehr zu sein. Oder etwa doch?".
Die Menschheit ist, in dieser 400 Jahre in der Zukunft angesiedelten Geschichte, in der Lage, den menschlichen Geist auf Disk zu speichern und in jeden beliebigen Körper zu transferieren. Die so benutzten Körper werden kurz "Sleeve" genannt und sind entweder geklonte Körper, oder abgeurteilte Verbrecher und dergleichen. Jeder kann also seinen Körper verlieren, der dann von einem anderen gemietet oder sogar gekauft werden kann. Wer viel Geld hat, der hortet einige seiner eigenen Klone und macht ein wöchentliches Backup seines Geistes. Sollte er drauf gehen, und das kann auf der Erde schon mal schneller geschehen als man denkt, wird einfach das letzte Backup in einen geklonten Sleeve geladen und das Leben geht weiter.
So ist es auch dem 300 Jahre alten Milliardär Bancroft ergangen. Irgend jemand ist in seine, wie eine Festung abgesicherte Villa eingedrungen, und hat ihm den Schädel weggeblastert. Der ist natürlich mächtig sauer und will rauskriegen, wer ihm das angetan hat. Kurzerhand importiert er den kurz vorher gestorbenen Privatdetektiv Takeshi Kovacs, transferiert ihn in den Körper eines ehemaligen Polizisten (was schon einige Schwierigkeiten mit sich bringen wird) und beauftragt ihn mit der Aufklärung des Falles. Kovacs stammt allerdings von einem anderen Planeten, Harlans Welt, auf der das Leben miteinander wesentlich Humaner und Toleranter abläuft, und hat die Erde noch nie besucht. Die Fallstricke, die das mit sich bringt, machen ihm das Leben ebenso schwer, wie das Problem, in einem ehemaligen Polizisten zu leben. Die früheren Kollegen sind stinksauer und die Unterwelt weiß nichts von dem anderen Geist in diesem Körper. Allerdings ist Kovacs auch kein normaler Detektiv. Er wurde im Envoy-Corps ausgebildet, einer Elite-Einheit der UN, die einen verdammt schlechten Ruf besitzt. Ihre Körper werden zu perfekten Mordmaschinen ausgebildet und mit Biohardware aufgerüstet. Und Kovacs will die Chance nutzen, die sich mit diesem Auftrag bietet. Er kann eine Menge Geld verdienen und seine ehemalige Freundin, die mit ihm auf Harlans Welt gestorben ist, retten.
Was wie eine ganz normale Ermittlung beginnt, wird zunehmend verzwickter, denn da mischen sich plötzlich weitere Parteien ein und Unversehens steckt Kovacs auch noch in politischen Verwicklungen drin. Der neutrale, emotionslose Killer, den Bancroft eigentlich anheuern wollte, ist Kovacs aber überhaupt nicht. Zwar ist er zu Anfang kühl, professionell und sarkastisch, aber mit der Zeit tauchen auch seine menschlichen Mängel auf. Er kann Autoritäten nicht ausstehen, warum ist er wohl nicht mehr im Envoy-Corps?, kann Gewalttätig und Rachsüchtig sein, wenn er seine Wut herausläßt, und ist gegen jedermann Mißtrauisch. Außerdem besitzt er eine große Schwäche für Frauen, was weitere Schwierigkeiten mit sich bringt. Zum Beispiel läßt er sich von der Frau seines Auftraggebers (sehr anschaulich) vernaschen. Dann verliebt er sich auch noch in die Partnerin seines Sleeve und beginnt ebenfalls ein Verhältnis mit ihr, obwohl er eigentlich eine Partnerin auf Harlans Welt hat. Im Laufe der Handlung macht er mal eben ein ganzes Krankenhaus nieder und tötet alle Anwesenden. Endgültige Auslöschung heißt das, indem er das Transferimplantat zerblastert und so keine Transferierung in einen neuen Sleeve mehr möglich ist. Und das alles, weil er entführt wurde, in eine Cyberwelt geladen wurde um dort mit sehr drastischen Methoden verhört zu werden. Überhaupt ist Richard Morgan nicht verlegen um drastische Gewaltdarstellungen, die schon ein gewisses Maß an ??? erfordern. So stark habe ich pers. das nur in den "Sten Chroniken" von Allan Cole und Chris Bunch erfahren, die auch nicht gerade zimperlich mit Gewalt umgehen. Aber diese Gewalt ist nie in sich verliebt und um sich selbst willen geschrieben, sondern sie stellt lediglich eine brutale Welt dar, in der es um das Überleben des Protagonisten geht. Und nach einige Schwierigkeiten kann Kovacs schon mal, als Zwischenergebnis, das Rätsel um den Mord an Bancroft aufklären.
Aber da muß natürlich noch eine Lösung dieses Problems her und natürlich gibt es noch die politischen Querelen und auch eine sehr alte Gegnerin ist involviert, für die Kovacs eine endgültige Vernichtung anstrebt. Die von der ersten Seite an fesselnde Geschichte, wird aus der Ich-Perspektive geschildert und von Morgan in Vollendung präsentiert. Keine erzähltechnischen Probleme oder Widersprüche tauchen im Handlungsbogen auf und praktisch alle Charaktere zeigen eine hervorragende Entwicklung und Tiefe. Gerne wird Morgans Roman mit den Werken Chandlers verglichen, aber Kovacs ist nicht einfach nur ein flacher Mike Hammer aus der Zukunft, er ist wesentlich vieldeminsionaler und hat durchaus auch Selbstzweifel und verliert auch schon mal den einen oder anderen Kampf. Auch ist er kein Allwissender und muß sich für bestimmte Arbeiten, z.B. wenn es um Computerhacker geht, die Hilfe anderer sichern. Das macht ihn zwar nicht richtig sympathisch, aber der Leser fiebert mit ihm, ob er seinen Auftrag lösen kann und wie er sich aus den ganzen persönlichen Verwicklungen befreien kann. Dabei läuft die gesamte Darstellung der Szenerie sehr bildhaft und visuell anregend ab und erinnert mächtig an einen Kinofilm, bei dem man vom ersten Moment an im Sessel festgewachsen ist. Wer Probleme mit extremen Gewaltdarstellungen oder plastischen Sexszenen hat, der sollte dieses Buch nicht lesen. Wer aber klar zwischen Buch und Wirklichkeit trennen kann, der sollte sich auf einige Stunden intensiven Lesegenuß einrichten und schon mal Getränke und Lebensmittel neben seinen Leseplatz stellen. Denn wer einmal angefangen hat, der wird das Buch erst zur Seite legen, wenn er auf der letzten Seite des 606 Seiten starken Wälzers angekommen ist.