Störenfriede
West-Journalisten in der DDR
Ich hatte immer schon ein Faible für historische Geschichten. Vor allem wenn sie mir so „nah“ sind. Da ich in den sechziger Jahren aufgewachsen bin, gab es da lange Zeit auf der Landkarte immer zwei Deutschlands, nämlich die BRD und die DDR. Als kleines Kind habe ich das überhaupt nicht verstanden und erst sehr viel später, im Politikunterricht der Abendschule, hörte ich etwas vom Dritten Reich und allem, was danach passierte. Und so interessiert mich auch die Geschichte der DDR, denn sie ist so ganz anders, als meine eigene Geschichte in der BRD.
Auf meiner Suche nach solchen interessanten Geschichten stieß ich ja zuletzt schon auf das Buch „Computer in der DDR“. Eine wirklich gut und spannend geschriebenes Buch, dass es in der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen gibt. Und als ich dort ein wenig stöberte, fand ich weitere spannende Bücher. Ein paar davon möchte ich euch vorstellen.
Heute geht es um die »Störenfriede«.
Als die DDR sich zu Beginn der Siebzigerjahre in Verhandlungen mit der BRD darauf einließ, westdeutsche Journalisten in Ost-Berlin als ständige Korrespondenten zu akkreditieren, waren Spannungen zwischen ihnen und der sozialistischen Staatsmacht programmiert. Denn die Medienvertreter aus dem Westen berichteten über das Geschehen im anderen Teil Deutschlands nicht nur für ihre Leser, Hörer und Zuschauer daheim, sondern erreichten über Hörfunk und Fernsehen auch den größten Teil der Bewohner in der DDR. Damit unterliefen sie das staatliche Informations- und Meinungsmonopol und wurden zur Konkurrenz für die von der SED gelenkten Staatsmedien. Dieses Buch beschreibt dir Tätigkeit der West-Journalisten, ihre Konflikte mit den Behörden und die Wirkung ihrer Arbeit.
Dieses schlanke Büchlein beschreibt in 37 Kapiteln, wie es dazu kam, wie die tägliche Arbeit war und wie sich beide Seiten nicht an Absprachen hielten. Von Beginn an führte die SED über ihre Propaganda-Instrumente einen verbissenen Kampf gegen die Massenmedien in der Bundesrepublik und in West-Berlin. Es wurde behauptet, die Presse sei, wie im 3. Reich, gleichgeschaltet. Was für eine Umkehr der Wirklichkeit. Genauso gingen die Westmedien nicht gerade zimperlich mit ihren Meinungen zur DDR und ihrer Staatsführung um. Sie wurde als „rote Diktatur“ und „Marionetten Moskaus“ betitelt und berichteten abfällig über den „Unrechtsstaat“.
Zunächst werde vonseiten der DDR versucht, sämtlich Fernseh- und Radiosender aus dem Westen zu blockieren, indem man Störsender aufstellte. Langfristig war dies aber nicht umzusetzen, allein schon wegen der hohen Kosten. Auch mussten die verzweifelten Funktionäre feststellen, dass sie die Fernsehvorlieben der DDR-Bürger durch Zwang nicht ändern würden können.
Mit der neuen Ost-Poilitk der SPD kam endlich Bewegung in die deutsch-deutschen Beziehungen. Beide Staaten näherten sich an. Die DDR suchte nach Anerkennung im Westen, vor allem wegen der Valuta und die BRD wollte wohl langfristig auf eine Vereinigung hinwirken. Deswegen begannen 1972 Verhandlungen zwischen beiden Staaten über einen Grundlagenvertrag. Darin gab es solche schönen Formulierungen wie „… jeweils die eine Seite der anderen die Bereitschaft erklärte, bestimmte Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten „im Rahmen ihrer Rechtsordnung“ zu garantieren. Da hatten die westlichen Politiker mal wieder nicht den tieferen Sinn dahinter begriffen, oder waren „Demokratieblind“. Mancher hatten diese Vereinbarung als großen Erfolg gewertet, entdeckten aber alsbald die versteckten Pferdefüße. Denn es war ganz klar, dass das Verständnis von Pressefreiheit vollkommen unterschiedlich war. Das nutzten die DDR-Behörden natürlich gnadenlos aus und versuchten die freie Berichterstattung durch Auslegung der vereinbarten Formulierungen zu behindern.
„Bearbeitet“ wurden die West-Korrespondenten von der Hauptabteilung HA II / 13 des MfS (Ministerium für Staatssicherheit), die zuständig für die Spionageabwehr war. Die Staatssicherheit hielt die akkreditierten Journalisten der BRD grundsätzlich für feindliche Agenten und für Inhaber eines staatlichen Kampfauftrages. Also genau das, was die Stasi gemacht hätte. Und beide Seiten konnten sich die andere einfach nicht vorstellen, bis es in der täglichen Arbeit sichtbar wurde.
Mit der Zeit wurde das aber alles aufgeweicht, weil sich die westdeutsche Berichterstattung natürlich auf Dauer nicht unterdrücken oder gleichschalten ließ, wie die der DDR. Und auch die Bevölkerung fing an sich zu emanzipieren, allein Bruch die staatliche Misswirtschaft und die immer schlechter werdenden Lebensbedingungen in der DDR. Bürgerrechtsbewegungen entstanden, die zwar von der Stasi überwacht wurden, sich aber auch nicht komplett unterdrücken liessen.
Das Ganze eskalierte bis zu der denkwürdigen Pressekonferenz von Günther Schabowski, am 08. November. Kurz vorher sagte der Schriftsteller Stefan Heym sehr treffend: „Es ist so, als habe einer die Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation, den geistigen, wirtschaftlichen, politischen, den Jahren der Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit.“ Dieser Satz wurde von den Westmedien besonders häufig zitiert, weil er den Zustand der DDR-Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt sehr treffend bezeichnete.
Und plötzlich gab es auch Journalismus in der DDR, die sich traute Ehrlichkeit statt Propaganda aufzuzeigen. Die alten Parteigenossen wurden hinweggefegt und gipfelte darin, dass die West-Journalisten langsam überflüssig wurden.
Ein spannendes Stück Zeitgeschichte, mit einem wirklich passenden Titel. Die typische Ausgabe der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen. Ein Cover, das wohl wie ein DDR-Presseausweis aussieht, gut und informativ zu lesen. Ich habe mich umfassend informiert und unterhalten gefühlt, weil es nicht wie ein trockenes wissenschaftliches Werk daher kommt, sondern flüssig erzählt wird. Von meiner Seite aus eine klare Empfehlung.
Vom Autor gibt es auch ein passendes YouTube Video dazu: youtu.be/YXUT8ghQsCU